
Das MMORPG Bless Online hat für seinen westlichen Early Access Release viel Kritik einstecken müssen. Zwar müht sich Neowiz das Spiel stetig durch Patches und Content auf den rechten Weg zu bringen, doch die Spielerzahlen sinken. Ist das Spiel wirklich in einem so desaströsen Zustand oder gibt es auch Lichtblicke? Unser Gast-Autor Erzkanzler schaut in einem Test auf das neue MMORPG.
Einige Spieler wollen, wie einst ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf, nicht aufhören dem Trend Widerstand zu leisten. Sind sie wirklich alle verblendet, ahnungslos und fehlgeleitet oder gibt es Spieler für die Bless einen Blick wert sein könnte?
Der Erzkanzler hat die zwei Königreiche bereist und einmal nachgefragt, warum Bless für einige Wenige trotz aller Widrigkeiten ein Heim geworden ist.
Identitätskrise – Bless als PVP-Spiel? Das funktioniert nicht
Eins wird mir bereits schnell klar, Bless Online hat eine brachiale Identitätskrise und das hat mehrere Gründe. Doch vor allem muss man wohl das Marketing des Spiels kritisch betrachten, um die Ursache für diese Krise zu ergründen. Sogar aktuell wird auf offizieller Seite noch mit einem „andauernden Kampf“ zwischen Hieron und Union und epischen Realm vs Realm Kriegen geworben.
PvP nur nach Stundenplan? Für viele Spieler undenkbar
Für ambitionierte PvP-Spieler bietet Bless aktuell kaum einen Anreiz. Es gibt zwar Battlegrounds, doch kann man diese nur zu bestimmten Zeiten betreten und die Warteschlangen sind undurchschaubar. Beides sind grundlegende Fehlentscheidungen, wenn man PvP als Grundfeste seines Spiels vermarkten will.
Habt ihr mal „Asterix bei den Briten“ gelesen? Der Moment, in dem die Briten die Schlacht unterbrechen, weil es Zeit für heißes Wasser mit Milch ist? Relativ perplex fragen die Römer, ob man denn mit der Schlacht weiter machen könne und prompt kommt die Antwort: „Bedaure, es ist Wochenende.“ Und ungefähr so fühlt es sich für PvP-Spieler in Bless aktuell an.
Offenes PvP ist kaum von Bedeutung.
Mehr als kleine Geplänkel zwischen einzelnen Spielern ist selten. Abgesehen von ein paar herumlaufenden, questabsolvierenden Spielern der gegnerischen Fraktion, gibt es kaum relevante Inhalte für diese Spielergruppe. Meist fügen sie sich sogar ohne Gegenwehr einfach ihrem Schicksal. Selbst das massenhafte Abschlachten von unbedachten Spielern vor Instanzeingängen bringt außer ein wenig Frust auf der einen, sowie Schadenfreude auf der anderen Seite, weder einen mittelbaren Vorteil noch einen merklichen Nachteil. Dieses System darf man sehr wohl auch als spieldesignerischen Fehler ankreiden.
Dass die angesprochene Zielgruppe mit der existierenden Realität, gelinde formuliert, unzufrieden ist, dürfte niemanden verwundern.
Es gibt weder Ranglisten noch großartige Beute oder gar Statussymbole. PvP-Spieler möchten keine Blumen pflücken müssen, keine Waschbären züchten oder mit Mitspielern tanzen, während sie auf einen Kampf warten. Und vor allem möchten sie nicht warten!
Wer sein Spiel als PvP-Spiel bewirbt sollte es auch durchgehend ermöglichen. Hier wurde also ganz klar an der Kernzielgruppe vorbei entwickelt. Die, für ein MMO unweigerlichen anfänglichen Klassenbalancing-Probleme haben dann ihr Übriges getan.
In meinen Augen ist das Open-PvP erfrischend nebensächlich. Ich bin PvE-Spieler, der PvP in Arenen zu schätzen weiß. Aber Open-PvP, bei dem Spieler klassischerweise so lange warten bis ich 5 Questmobs am Hintern habe, um mich dann meiner letzten 10% HP zu berauben, hasse ich aus tiefster Seele. Da kommt mir das weiche Open-PvP in Bless sehr entgegen. Natürlich, ab und an will´s dann eben auch jemand mal wissen, aber da es fraktionsbasiertes PvP ist, hält sich das Abfarmen oder gar das Prügeln um bestimmte Spots doch in überschaubaren Grenzen. Auch wenn dies mit wichtigen Elitemobs und deren begehrtem Loot, zur Freude der PvP-Fraktion, sicher noch an Bedeutung gewinnen wird.
Raids fehlen derzeit komplett, die Anzahl der Dungeons ist überschaubar
Neowiz wirbt vollmundig mit Dungeons und sogar Raids, doch auch hier hält die aktuelle Early Access Fassung leider den Erwartungen nicht Stand. Im Detail sind die 9 derzeit verfügbaren Dungeons kaum der Rede wert. Sechs der Neun sind kurze Zwischenspiele in der Levelphase und teilen sich anfangs sogar noch auf beide Fraktionen auf. Die ersten zwei sind fürs Soloplay gedacht. Die verbleibenden drei reichen natürlich bei Weitem nicht, um passionierten Raidspielern mit langjähriger Erfahrung länger als ein Wochenende ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Also erneut, an der zweiten Kernzielgruppe vorbei entwickelt.
Doch sind die Dungeons des Spiels, für wenig ambitioniertere Spieler, fordernd genug. Sie glänzen durch Mechaniken, die mit dem klassischen „Tank&Spank“ anderer MMOs wenig gemeinsam haben. Ich wünschte mir, es gäbe mehr Instanzen denn ich halte sie für relativ gelungen. Auch wenn Neowiz hier sicher eine Chance vertan hat, sich besser zu positionieren, mit einer höheren Anzahl an Dungeons, hätte man ein relevantes Endgame vorweisen können.
Bless, vielleicht ein MMORPG für Casual-Gamer?
Bless ist ein Spiel, dass viele Facetten bedient und leider kaum keine davon in Perfektion. Das macht es für viele Spieler uninteressant oder gar schlecht. Die Kritik ging in meinen Augen, häufig zu weit. Betrachtet man Bless Online als MMORPG im Early Access, s o muss man auch dem Team bei Neowiz zugestehen: Ihr Produkt hat Potenzial.
Und man sollte Bless als Early Access-Spiel sehen. Denn zwar sind große Teile bereits entwickelt, Neowiz scheint jedoch gewillt, Bestehendes anpassen und ändern zu wollen.
Interessanterweise, und das ist eben auch die Quintessenzen aus meinen Unterhaltungen mit aktiven Spielern, ist Bless ein MMO für all jene, die sich nicht direkt zur umworbenen Zielgruppen zählen würden. Es sind jene, die von allem gern ein bisschen möchten. Jene die beispielsweise Handwerk mögen, aber nicht gleich mit Excel-Tabellen voller Zutaten hantieren wollen. Jene, die gern auch mal abends mit Freunden eine Instanz spielen ohne vorher wochenlang Taktiken aus dem Netz auswendig zu lernen. Spieler, die eine stimmige Grafik genießen auch wenn mal ein Detail nicht zu 100% perfekt sitzt.
Solides Kampfsystem, relevantes Crafting und Begleitersystem bilden Basis für Entwicklung
Das Kampfsystem ist solide. Zwar hat das Klassenbalancing bei vielen Spielern die Freude über das System etwas leiden lassen. Aber nach zwei Patches macht es einfach Freude mit der Zweihandaxt des Berserkers durch die Massen zu pflügen oder als Magier mit Feuerbällen den Monstern das Fell zu verbrennen. Eine große Build-Vielfalt wie in anderen MMOs gibt es in Bless zwar nicht, aber das Skillsystem ist doch deutlich komplexer als es auf den ersten Blick wirkt.
Das Begleitersystem sucht in der MMO-Landschaft seines Gleichen. Wildschwein, Riesenspinne oder Dämon als Begleiter? Kein Problem, in Bless gilt „Schnapp sie dir alle!“. Sowohl Begleiter als auch Reittiere lassen sich zähmen als auch züchten. Meinem heroischen Stinktier steht nichts im Wege und meine Magierin reitet eine Raupe. Um einen Anreiz zu schaffen, bringen diese Begleiter auch noch hilfreiche Buffs und Fähigkeiten mit, die für Begleiter ungewöhnlich hoch ausfallen können. Eine Ratte die mehr Angriffskraft verleiht, oder ein springender Pilz der euch Rohstoffe schneller abbauen lässt sind mit etwas Zuchterfolg keine Seltenheit.
Das Crafting ist relevant! So relevant, dass selbst ich, als bekennender Feind jeglicher Ingame-Handwerksberufe, sich mit ihnen beschäftigt um mit Bufffood, Spirits (Runen) und Reparaturhämmern ausgerüstet zu sein. Die Erzeugnisse lassen sich im Auktionshaus anbieten, einen wirklich freien Handel gibt es jedoch nicht. Die Wahren besitzen einen schwankenden Minimal- und Maximalpreis. Eine Wirtschaftssimulation ist Bless nicht.
Gruppen- und Gildenspiel wird in Bless belohnt
Und auch das Gilden- als auch Questsystem hat seine Sinnhaftigkeit. Wer hilft, seine Gilde erfolgreicher zu machen, hilft sich selbst. Denn das Gildenlevel bestimmt die Anzahl und die Höhe der Buffs, die jedes Mitglied dauerhaft erhält. Das motiviert gemeinsam das Spiel zu erleben, widerstrebt allerdings dem heutigen Trend einer Ansammlung von Solospielern in MMORPGs. Bless geht diesen Schritt bewusst, auch wer sich zu Gruppen zusammenschließt um zu spielen, wird mit zusätzlichen Buffs belohnt.
Klassische Quests in Bless Online sind bei weitem kein Story-Genuss. Die erzählten Geschichten sind meist trivial und unbedeutend. Doch bringt jede erledigte Aufgabe meinen Charakter spürbar weiter, und sei es nur durch etwas Kleingeld oder Aufwertungsmaterialien für die eigene Ausrüstung.
Ab und an sind es die kleinen Dinge, mit denen Bless Freude bereitet
Oft übersieht man in Bless kleine Facetten, die mich schmunzeln lassen. Meine ganz persönliche Lieblingsquest ist jene, in der ein Dorfbewohner mich als großen Held feiert und gerne ein Autogramm von mir haben möchte. Erfüllt ist sie durch einen Tastendruck. Gefreut habe ich mich trotzdem, wie oft habe ich in MMOs Prinzessinnen gerettet, verschollene Kinder gerettet und Drachen erschlagen und wurde anschließend von den Dorfbewohnern weiterhin wie ein Fremder behandelt. Bless macht da zwar auch keine große Ausnahme, aber diese Quest hat mich erheitert.
Zu guter Letzt, selbst der Ingam-Shop kommt derzeit zurückhalten daher. Von dem würde man in einem mittelmäßigen aber soliden Machwerk üblicherweise Dreistigkeit und Gier erwarten. Natürlich, für einen Transport zu Instanz Geld zu verlangen oder das Wiederbeleben mit Echtgeld zu ermöglichen, hinterlässt einen faden Beigeschmack und ist wohl der Historie als free2play geschuldet. Relevant im Sinne der Fairness sind diese „Vorteile“ aber nun wirklich nicht.
Ein Shop ist vorhanden, doch kaum etwas ist mit realem Geld zu erwerben.
Von Pay2win-Vorwürfen kann sich Bless derzeit freisprechen und selbst das Pay2Progress ist relativ milde. Wer einmal das Maximallevel erreicht hat, und dies ist schnell erreicht, erhält kaum noch mittelbare Vorteile. Wer an vorderster Front spielen und jeden noch so kleinen Bonus nutzen möchte, sollte einen Premium-Account ins Auge fassen. Hier gibt es dann noch 2-3 Kleinigkeiten, die das Vorankommen erleichtern.
Darf man Bless mögen?
Bleibt mir noch die anfangs gestellte Frage zu beantworten: Sind alle aktiven Bless-Spieler verblendet und wollen nur die offenkundige Wahrheit nicht erkennen?
Auch jetzt gibt es noch Spieler, die den aberwitzigen Marketingversprechen Glauben schenken wollen. Die, die sich das nächste große MMO, den lang ersehnten WoW-Killer erträumen. Es gibt immer noch jene Spieler die ein besseres PvP als in Black Desert Online erwarten, auf epische Schlachten offen und sich tagtäglich mit Duellen darauf vorbereiten.
Doch sie werden weniger und das schlägt sich deutlich in den Spielerzahlen nieder. Aber jene die das Spiel derzeit gerne spielen, ohne all ihre Hoffnungen und Wünsche zu projizieren, jene die einfach nur Spaß am Spiel haben, sind nicht verblendet. Sie wissen was das Spiel derzeit leistet, sehen Chancen und Probleme und haben sich daran gewöhnt auf die Frage was sie derzeit spielen, lieber ausweichend zu antworten.
Es ist nun an Neowiz zu zeigen wie ernst es Ihnen mit Bless Online ist
Neowiz wird sich entscheiden müssen: Es ist jetzt an Neowiz sich zu entscheiden ob man weiterhin auf Zielgruppen setzt, deren Erwartungshaltung man wohl auch in Zukunft nicht erfüllen kann, oder ob man jene die das Spiel derzeit spielen, anhört und unterstützt. So erreicht man vielleicht bald auch eine Spielerschaft die bis dato kein Interesse an Bless hatte, nämlich den Allrounder. Den MMO-Spieler der gern von allem etwas haben möchte, ohne gleich mit fetischer Akribie seine Spielerfahrung nur auf ein einziges ultimatives Ziel auszurichten. Ob Neowiz das gelingt und ob es genug Spieler für dieses Konzept geben würde, das bleibt abzuwarten.
Zumindest zeigen die Zahl positiv werdenden Reviews, die große Enttäuschung ist vorbei. Nun hat das Spiel vielleicht die Chance sich zu erholen. Ein Traum-Reboot, wie etwa bei Final Fantasy XIV, ist allerdings noch in weiter Ferne und hinter viel Arbeit für Neowiz verborgen.
In diesem Sinne geht der Erzkanzler jetzt mal „so ein Onlinespiel“ spielen.
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Source: Destiny 2 PC